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Zeit: mittwochs, 10.15 - 12.00 Uhr
Ort: A 017 (Uni S, Schanzeneckstrasse 1, Bern)
Vollständige und wohlgeformte Sätze drücken bei ihrer Äusserung einen wahrheitswertfähigen Gehalt bzw. eine Proposition aus und geben gleichzeitig an, was eine Sprecherin mit dem geäusserten Satz meinte! - so lautet ein traditionelles Dogma der Sprachphilosophie. Allerdings ist diese Auffassung mit dem Kontextualismus unter Beschuss gekommen: Dieser kritisiert, dass zahlreiche Sätze keine Proposition ausdrücken, obwohl sie vollständig und wohlgeformt sind. Ebensowenig informieren sie über das von der Sprecherin Gemeinte.
Was ist von dieser Kritik zu halten und welche Revisionen des traditionellen Bilds vom Zusammenhang zwischen sprachlicher Bedeutung, wahrheitswertfähigen Gehalten und dem Gemeinten zieht sie nach sich? Anhand einschlägiger Texte der Kontextualismusdebatte diskutieren wir Argumente für und gegen die Kritik. Ebenso behandeln wir Ansätze, welche die Kritik durchaus ernst nehmen, ohne das traditionelle Dogma jedoch aufzugeben. Das detaillierte Programm kann hier heruntergeladen werden.
Seitens der Studierenden erwarten wir nebst aktiver Teilnahme an den Diskussionen ein Referat, ein Handout sowie zwei schriftliche Kurzarbeiten von zwei Seiten (Abgabe 20. April bzw. 1. Juni).
Das Programm
Zum Einstieg diskutieren wir anhand von Nikola Kompas "Contextualism in the Philosophy of Language" verschiedene Arten von Kontexteinflüssen und bedienen uns Emma Borgs "Meaning and Context: A Survey of a Contemporary Debate", um die wichtigsten Positionen der Kontextualismusdebatte kennen zu lernen. Anschliessend gehen wir mit Herman Cappelens und Ernie Lepores Aufsatz "A Tall Tale" auf Argumente ein, die dafür sprechen, am traditionellen Bild der Rolle von der Bedeutung von Sätzen für die Festlegung von wahrheitswertfähigen Gehalten festzuhalten. François Recanatis "What is Said" und Charles Travis' "Pragmatics" dagegen zeigen uns den unabdingbaren und vielleicht sogar umfassenden Kontexteinfluss auf wahrheitswertfähige Gehalte und das von der Sprecherin Gemeinte. Mit Stefano Predellis "Truth and Meaning: The Contextualist Challenge", John MacFarlanes "Semantic Minimalism and Nonindexical Contextualism" und Isidora Stojanovics "Semantic Content" lernen wir zum Abschluss drei Ansätze kennen, welche die kontextualistische Kritik einbeziehen, diese aber mit dem traditionellen Dogma vereinbaren möchten.
Unterrichtsmaterial
(Das Unterrichtsmaterial wird laufend ergänzt)
Handout Rieger zu Cappelen & Lepore
Handout Schädler zu RecanatiPraesentation Stucki zu Predelli
Handout Messerli zu Stojanovic
Fragen zu Kompas (295-306) und Borgs (96-104) Texten:
1) Nikola Kompa beschreibt eine Reihe von Phänomenen, bei denen der Kontext für das richtige Verständnis eines geäusserten Satzes eine Rolle spielt. Listen Sie die verschiedenen Arten von Kontexteinflüssen bei den einzelnen Phänomenen möglichst vollständig auf.
2) Was zeigt die Beschreibung der verschiedenen Phänomene über die Kontextualismus-These?
3) Welche Position nimmt Kompa innerhalb von Borgs Positionen ein?
4) Emma Borg beginnt ihren Aufsatz zur Charakterisierung der Positionen, die in der Kontextualismus-Debatte vertreten werden, mit dem Argument des veränderten Kontexts (zu Englisch "context-shifting argument"). Was soll das Argument im Kern zeigen (97)?
5) Erklären Sie den Unterschied zwischen Syntax, Semantik und Pragmatik.
6) Was macht den Minimalismus zu einem formalen Ansatz und welche Rolle weist dieser dem Gemeinten zu (97f.)?
7) Beschreiben Sie das Phänomen der konversationalen Implikatur anhand eines eigenen Beispiels (98).
8) Was veranlasst den Indexikalismus dazu, den Zusammenhang zwischen Syntax und Semantik im Vergleich zu einer traditionellen Auffassung neu zu interpretieren (98f.)?
9) Beschreiben Sie mit Hilfe eines Beispielsatzes die zweifache Rolle des pragmatischen Einflusses bzw. des Kontexteinflusses auf den Äusserungsgehalt (99f.).
10) Was übernimmt der Parameter-Ansatz an theoretischen Einsichten vom Indexikalismus, was vom Kontextualismus (100ff.)?
11) Führen Sie Argumente an für den Slogan "Bedeutung ist Gebrauch" am Beispiel "Die Kanne ist schwarz".
12) Versuchen Sie die verschiedenen Positionen Borgs auf das Schema "Die Satzbedeutung legt das Gesagte fest und informiert über das von der Sprecherin Gemeinte" abzubilden.
Fragen zu Cappelen und Lepores "A Tall Tale":
1) Durch welche Punkte zeichnet sich der semantische Minimalismus gemäss Cappelen und Lepore aus? Wie würden C und L die verschiedenen Arten von Kontextabhängigkeiten, die Nikola Kompa in ihrem "Contextualism in the Philosophy of Language" auflistet, mit Bezug auf den semantischen Gehalt bewerten? (Seiten 1/2)
2) Was besagt C und Ls Sprechaktpluralismus (Pluralismus des kommunizierten Gehalts/des Gesagten)? Welche Konsequenz ergibt sich aus dem Sprechaktpluralismus für das klassische Bild? (2/3 und 6)
3) Wozu dienen C und Ls Kontext-Sensitivitäts-Tests? Führe die Tests Nr. 1 und Nr. 2 für die Sätze "Er wiegt 81.6 Kilo" und "Barack Obama ist fertig" durch. (3-5)
4) Was wird C und Ls minimalistischer Position mit dem metaphysischen Einwand vorgeworfen? Wie begegnen C und L diesem Einwand? Spiele den metaphysischen Einwand und C und Ls Lösung am Beispiel "Barack Obama ist fertig" durch. (6-9)
5) Wieso kann der metaphysische Einwand gemäss C und L nicht entkräftet werden, wenn angenommen wird, dass mit dem Satz "Barack Obama ist fertig" etwa im uns bekannten Prüfungskontext die Proposition ausgedrückt wird, dass Barack Obama fertig ist mit den Kopfrechnungen, anstatt der Proposition, dass Barack Obama fertig ist? (9-11)
6) Wie ist der Vorwurf zu verstehen, dass C und Ls semantische Gehalte keine kommunikative Rolle spielen bzw. keine psychologische Realität haben? (11/12)
7) Welche kognitive Rolle spielt der semantische Gehalt gemäss Cappelen und Lepore? (12-15)
8) Inwiefern fällt der psychologische Einwand gegen den semantischen Minimalismus, der unter anderen von François Recanati vorgebracht wird, auf Recanati zurück? (15/16)
Fragen zu François Recanatis "What is Said"
1) Welche Merkmale weisen die Satzbedeutung, das Gesagte und das Implikierte auf? Wie lassen sich diese drei Begriffe aufeinander beziehen (75ff.)?
2) Beschreiben Sie an den Beispielsätzen ?Barack Obama ist fertig? und ?Er hat nichts anziehen? und den damit ausgedrückten Propositionen den Unterschied zwischen unabdingbaren Ergänzungen und optionalen Ergänzungen im Sinne von freien Anreicherungen. Versuchen Sie diesen Gegensatz auf Recanatis Unterscheidung von wörtlichen Wahrheitsbedingungen und intuitiven Wahrheitsbedingungen zu beziehen (77ff.).
3) Wie begründet Recanati die These, das Gesagte zu bestimmen erfordere auch optionale Ergänzungen (79)? Wie würden Cappelen und Lepore gegen diese These argumentieren?
4) Wenn Recanati behauptet, dass primäre Prozesse nicht alleine unabdingbare Ergänzungen beinhalten, sondern auch optionale, welche Rolle übernimmt dann Meinen und wie verhält sich dieses zu Sagen? Lassen sich primäre Prozesse und sekundäre Prozesse dann überhaupt noch unterscheiden und falls ja, wodurch?
5) Was besagt Recanatis Verfügbarkeitsprinzip und wie begründet er dessen Annahme (80)? Mit welcher Begründung verwerfen es Cappelen und Lepore?
6) Wie muss das ursprüngliche Dogma modifiziert werden, um den Synkretismus adäquat abbilden zu können (80ff.)?
7) Wie muss das ursprüngliche Dogma angesichts von Kent Bachs These der Nicht-Propositionalität modifiziert werden (81f.)?
8) Beschreiben Sie die unterschiedlichen Einflüsse des engen und des weiten Kontexts in Bezug auf eine Äusserung des Satzes ?Ich sehe das Buch des Autors (85)?
Fragen zu Charles Travis' "Pragmatics":
1) Welche Modifikationen des ursprünglichen Dogmas zieht Travis' pragmatische Sicht nach sich? Wieso gilt Travis als radikaler Kontextualist? (109-113 und 121-122)
2) Welchen Status hat der Begriff der sprachlichen Bedeutung in seiner Theorie? Wie lautet die Bedeutung von "ist schwarz"? (109-111)
3) In Kapitel 2 bedient sich Travis eines Kontextverschiebungs-Arguments (Bsp. mit den Blätter von Pias Japanischem Ahorn). Versuchen Sie dieses zu rekonstruieren. (Kapitel 2)
Was würden Minimalisten (wie Cappelen und Lepore) am Argument kritisieren und wie reagiert Travis auf solche Kritik? (112)
4) Wie könnte Travis' Kontextverschiebungs-Argument mit der Annahme von Ellipsen oder Indexikalität angegriffen werden? Wieso ist "ist grün" gemäss Travis kein indexikalischer Ausdruck ("ich" hingegen schon)? (Kapitel 3)
5) Wie könnte das Kontextverschiebungs-Argument mit Hilfe von Grices Implikaturen-Theorie ausgehebelt werden? (Kapitel 4)
6) In Travis' pragmatischer Sicht beschreibt ein Satz keinen eindeutigen Zustand der Welt; derselbe Satz kann entsprechend eine wahre und eine falsche Beschreibung desselben Zustands der Welt liefern. Welche scheinbaren Probleme ergeben sich Travis aus dieser Annahme? Wie reagiert er auf solche mögliche Kritik an seiner pragmatischen Sicht? (Kapitel 6)
7) Was unterschiedet Travis' pragmatische Sicht von einer Theorie, die Bedeutung mit Gebrauch gleichsetzt?
Fragen zu Stefano Predellis "Truth and Meaning: The Contextualist Challenge":
1) Was übernimmt Predelli von der Kontextualismuskritik, in welchen Punkten lehnt er diese ab?
2) Was beinhaltet der Index?
3) Warum führt Predelli 'clause' ein? Welche Informationen hat ein 'clause' ?
4) Wie verhalten sich 'clause', 'index' und 'Wahrheitsbedingungen' zueinander?
5) Welche Modifikationen des herkömmlichen Dogmas zieht Predellis theoretischer Rahmen nach sich?
6) Treffen unsere Vorwürfe gegenüber Travis' Ansatz auch auf Predelli zu (siehe Folien Lektion 8)? Wenn nicht, weshalb nicht?
Fragen zu John MacFarlanes "Semantic Minimalism and Non-Indexical Contextualism":
1) Rekonstruieren Sie das Kontext-Verschiebungs-Argument für den Satz „Chiara ist gross“, mit dessen Hilfe gemäss MacFarlane moderate Kontextualisten (und auch radikale) zum Schluss kommen, dass der Satz kontextsensitiv ist. (Konklusion1: Mit dem Satz „Chiara ist gross“ werden verschiedene Propositionen ausgedrückt. Konklusion2: Der Satz „Chiara ist gross“ ist kontextsensitiv). Welche Prämissen sind implizit? (240) (Zur Hilfe kann unter „Lektion 7“ oben das KVA von Travis beigezogen werden)
2) Wie können Cappelen und Lepore mit Hilfe ihres Sprechaktpluralismus die Konklusion des Kontext-Verschiebungs-Arguments vermeiden, dass der Satz „Chiara ist gross“ kontextsensitiv ist? (240/241 und 249)
3) Was ist das Intensionsproblem? (242)
Wie reagieren Cappelen und Lepore auf das Intensionsproblem?
4) Welche Kritik trägt MacFarlane an Cappelen und Lepore heran? (243 bis 245)
5) Was leistet der zählt-als-Parameter? (246)
6) Inwiefern ist der „Chiara ist gross“ gemäss MacFarlane kontextsensitiv, inwiefern nicht?
7) Welche Einsichten teilt MacFarlane mit den Minimalisten, welche mit den radikalen Kontextualisten? (247/248)
Inwiefern kann sein Nicht-Indexikalischer Kontextualismus als Versöhnung zwischen Minimalisten und radikalen Kontextualisten betrachtet werden? (250)
8) Wie hebelt MacFarlane die Kontext-Verschiebungs-Argumente der Kontextualisten aus? (248 bis 249)
9) Worin unterscheidet sich MacFarlanes Theorierahmen von Predellis?
Fragen zu Isidora Stojanovics "Semantic Content":
1) Versuchen Sie, Stojanovics Vorschlag 2-dimensional darzustellen.
2) Inwiefern überschneiden sich Stojanovics und Predellis bzw. MacFarlanes Ansätze? Inwiefern unterscheiden sie sich?
3) Vergleichen Sie Stojanovics semantischen Gehalt mit Cappelen und Lepores semantischem Gehalt?
4) Wieso legt Stojanovic Wert darauf, Wahrheitsbedingungen und Wahrheitswerte zu unterscheiden? (19/20)
5) Welchen Anforderungen muss ein semantischer Gehalt gemäss Stojanovic genügen? (4/5 und 14 ff.)
6) Erklären Sie, wieso gemäss Stojanovic Tür und Tor für weitere Kontexteinflüsse auf den semantischen Gehalt geöffnet sind, sobald die Bezugsobjekte indexikalischer und demonstrativer Ausdrücke als Teil des semantischen Gehalts betrachtet werden. (15-18)
7) Was würde Recanati an Stojanovics Vorschlag schätzen? Wie unterscheidet sich seine Position von Stojanovics?
8) Inwiefern ist Stojanovics Ansatz als Synthese zwischen Minimalisten und Kontextualisten zu verstehen? Welche Vorteile bringt Stojanovics Ansatz gegenüber Minimalismus und Kontextualismus? (2 und 18 ff.)
Essayfragen 1
Wählen Sie aus den folgenden drei Fragen eine Frage aus oder stellen Sie sich selbst eine Frage und schreiben Sie dazu ein Essay von 1-2 Seiten:
1) Rekonstruieren Sie die Argumentation des Minimalismus dafür, dass der geäusserte Satz "Barack Obama hat nichts anzuziehen" eine vollständige Proposition ausdrückt, und zeigen sie dabei, welche Rolle der Minimalismus dem von der Sprecherin Gemeinten zuweist.
2) Rekonstruieren Sie die Argumentation des moderaten Kontextualismus dafür, dass der geäusserte Satz "Barack Obama hat nichts anzuziehen" zwar eine vollständige Proposition ausdrückt, aber in den meisten Fällen nicht über das von einer Sprecherin Gemeinte informiert.
3) Rekonstruieren Sie die Argumentation des radikalen Kontextualismus dafür, dass der geäusserte Satz "Der Ball ist rot" keine vollständige Proposition ausdrückt, und beschreiben Sie, welche Rolle das von einer Sprecherin Gemeinte bei der Festlegung der Proposition spielt.
Essayfragen 2
Wählen Sie aus den folgenden drei Fragen eine aus oder stellen Sie sich selbst eine Frage und schreiben Sie dazu ein Essay von 1-2 Seiten. Abgabetermin Ende Juni:
1) Inwiefern vereint Predellis bzw. MacFarlanes bzw. Stojanovics Parameter-Ansatz Elemente des Minimalismus und Elemente des Kontextualismus?
2) Vergleichen Sie einen der behandelten Parameter-Ansätze (Predelli, MacFarlane oder Stojanovic) mit einer behandelten minimalistischen oder kontextualistischen Position.
3) Vergleichen Sie Stojanovics semantischen Gehalt mit Cappelen und Lepores semantischem Gehalt. Inwiefern ist Stojanovics Ansatz minimalistischer als Cappelen und Lepores?